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Zeitgenössische Postkarte Semiramis Hotel
Abbildung gemeinfrei [1]
 
 
 

 

Semiramis Hotel, Kairo, 18. November 1961

 

 
 

Der Luxusexpress Alexandrien-Kairo steht 11 Uhr vormittags auf Alexandrias Hauptbahnhof bereit, Du nimmst in Deinem reservierten Klubsessel mit verstellbarem Fußgestell in dem luftgekühlten Wagen Platz und falls Dir das Sonnenlicht zu grell ist, kannst Du Dir eine Blaulichtfensterscheibe vorschieben, durch die Du die schöne Landschaft in gedämpft matten Farben siehst. Pünktlich auf die Sekunde gleitet der Diesel aus der Halle, lässt die winkende Frau E., den netten Vizekonsul und den weinenden Alphons zurück und fährt durch die Vorstädte der Millionenstadt, welche der Ire Durrel in seinen 4 Romanen so lebenswahr geschildert hat. In Sidi Gaber nochmals Halt, wo viele Bewohner der Villenviertel zusteigen. Da Du bis dahin schon 11 Minuten gefahren bist, kommt der nubische Kellner mit rotem Tarbusch, um von Dir zu erfahren, ob Du zu Deiner Stärkung lieber Kaffee, Tee, Fruchtsaft oder etwas Süßes (Fettgebäck mit Nüssen, Eis, gefrorene Granatäpfel oder dergl.) wünschst. Du fährst nun dauernd durch eine der fruchtbarsten Ebenen der Welt; denn hier hat der Vater Nil und seine Kanäle das fette Schwemmland für mehrere Ernsten bereitet. Zunächst siehst Du die großen Zitrushaine mit reifen Orangen, Süßzitronen und Jussuf Effen di (Mandarinen), abwechselnd mit Bananenpflanzungen, dann folgen Baumwollfelder, Maisstauden und unwahrscheinlich mächtige 3-4 menschenkopfgroße Kohlköpfe. Wir kommen an den grossen Mahmudia Kanal, der Alexandrien mit Kairo verbindet. Er führt wie der Nil Hochwasser. Auf seinem lehmigbraunen Wasserspiegel fahren breite schwerfällige Boote dahin mit einem hohen weissen Dreieckssegel und diese Segel schauen weithin aus der flachen Landschaft hervor und zeigen Dir, wie die Telegrafenstangen in Deutschland, auf lange Sicht den Weg des Kanals und seiner Windungen. An ihnen siehst Du ein besonders reizvolles Bild. Da der Wind nicht ausreicht das Segel zu blähen, ziehen drei barfüssige Männer in bis zum Boden schleppenden langen Gewändern (Gallabijahs) auf dem Kanaldamm mühsam schreitend an einem langen Strick das Schiff und erinnerten mich an das Bild der Wolgaschiffer. Du siehst aber auch zahlreiche Dammwanderer, die Männer in farbenfrohen himmelblauen, orangegelben, feurigroten oder auch weißen und braunen wie Schlafröcke wirkenden Gallabijahs mit meist grauen, gelben, braunen oder schwarzen Rundkappen und dunkelschwarz gekleideten Frauen, die vielfach große Körbe mit leuchtend roten Tomaten, Gemüse oder reifen Datteln oder auch Wasserkrüge auf dem Kopf tragen. Ebenso oft aber siehst Du Reiter, die allermeisten auf einem weißen oder schwarzen Eselchen, die nackten oder in Pantoffeln hängenden Füße auf beiden Seiten des geduldigen Grautieres lang herabbaumelnd. Oft sind es alte Papas, oft arbeitsame Fellachen (Bauern), oft aber auch Buben jeglichen Alters, die nicht selten auf den Eselchen galoppieren, was höchst drollig aussieht, zumal, wenn sie häufig auf dem äußersten Hinterteil des Reittieres sitzen. Auch die Dromedarreiter sitzen manchmal fast auf dem Schwanz des Tieres. Die Silhouetten dieser Reiter beleben ständig die Landschaft und besonders lustigen Anblick bieten die Doppelreiter, zwei ausgewachsene Männer oder auch zwei Büblein auf einem Esel. Nie aber sah ich eine Frau reiten, sie stapfen wohl schon seit Jahrhunderten mit ihrem schweren Kopflasten brav durch den Lehm hinter oder neben ihren reitenden Ehegemahlen oder Söhnen. Einen immer wieder reizvollen Anblick bieten auch die vielen ägyptischen Dörfer mit ihren Lehmhäusern, ihrem Brennholz für den Winter in Gestalt von Maisstroh oder trockenen Zweigen auf den Dächern ihren großen turmartigen Taubenhäusern und dem bunten und wimmelnden Volksleben, das sich vor den Häusern abspielt. Hier sitzen Bauern und rauchen Wasserpfeife (Nargileh), sitzen Frauen und kochen, laufen Hühner, Gänse, Enten, Truthühner, Ziegen, Schafe und Wasserbüffel herum, die vielfach gemeinsam mit den Menschen hausen. Hohe Dattelpalmen, jetzt mit reifen Fruchtbüscheln geschmückt, überragen oft die schmucklosen grauen Dörfer. Bei der Deltastadt Kafr el Zavat (arabisch كفر الزيات Kafr az-Zayyāt, auch Kafr el Zayat oder El Zayat) überquerst Du einen breiten Nilarm und von dieser Stadt begleitet das breite Band einer Autostrasse den Zug.

 

 

 
 
 

Kartenausschnitt - Abbildung gemeinfrei 

 

 

 

Nun siehst Du Radler in Pyjamas, Eselreiter, Schieber von Handkarren mit roten Ziegeln, die viele Kilometer weit geschoben werden, dazwischen Wasserbüffel mit ihren possierlichen Kälbchen, gelbbraune Kühe am Nasenstrick geführt, graue Militärautos, Tankwagen, Pferdeequipagen auf Gummirädern, Lastesel mit doppelseitig beladenen Körben oder mit Zuckerrohr hoch bepackte Dromedare. Eukalyptusbäume und Kasuarinen säumen den Weg und in ihrem Schatten bereiten hockende Frauen ihre Mahlzeiten. Hockende Menschen siehst Du überall, teils arbeiten sie auf den Zwiebelfeldern und stecken dort Kleinzwiebeln oder Zwiebelsamen, teils ruhen sie sich hockend auf den Feldern aus, teils machen sie Kopfdüngung des Gemüses, ihre Geschäfte verrichtend. Hier siehst Du splitternackte Buben baden, dort eine Frau ihre Wäsche waschend, dort einen Bauern seinen blutigfarbenen Harn (Bilharzia) abschlagend. Weiße Nilreiher stehen auf den grünen Reisfeldern oder stolzieren madenpickend auf den massigen Rücken der schwarzen Wasserbüffel, von denen ich nur einen rötlichen Albino sah, die ich auf den Philippinen und in Vietnam so häufig antraf. Neben den weißen Reihern sah ich auch viele Kiebitze fliegen, natürlich auch Tauben, Krähen und von Raubvögeln die fluggewandten Milane, die Dich schon in Lugano erfreuten. Auf den Kanaldämmen siehst Du auch Göbel, wo von Büffeln, Kühen, Eseln und Dromedaren mit verbundenen Augen in unermüdlichem Rundlauf Wasser auf die Felder mit kleinen Holzeimern geschöpft wird. Die violett blühenden Wasserhyazinthen – die Pest Zentralafrikas – sind leider auch schon hier in den Nebenkanälen zu sehen. Dann folgen Zelte für Bahnarbeiter, die auf Eisenrohren sich zum Schlaf gelegt haben, wie sie es sonst auf dem harten Erdboden gewohnt sind. Daneben eine Herde der braungelockten Fettschwanzschafe. Überfüllte Landomnibusse in fröhlichen Farben mit weiss bemaltem Dach, einer breiten feuerroten Bauchbinde, auf der in der schmuckhaften arabischen Schrift die Fahrziele zu lesen oder vielmehr für mich nicht zu lesen sind und einem himmelblau gestrichenen Unterteil rollen an Dir vorbei. Am Horizont siehst Du malerische Stadtsilhouetten. Eine zählt allein 9 Moscheeminarette, 1 Türbe (Grabmal) und die Türme einer koptischen Kirche. Mohammedanische Friedhöfe mit ihren backofenähnlichen Gräbern und moderne Tankstellen wechseln miteinander ab. Du siehst jetzt Zuggeleise mit abgestellten Lokalzügen, deren Wagen alle die schwarzweißroten arabischen Farben als Streifenbordierung tragen und dann bis Du in Tanta, der einzigen Stadt, wo der Express einige Minuten hält. Ich hoffe, dass Dich die Fahrt trotz der Fülle des Geschauten bis hierher nicht ermüdet hat und Du noch Augen hast für das auf dem Bahnsteig nunmehr einsetzende Getriebe. Denn die Bahnhofshändler eilen mit arabischen Zeitungen, mit Süßwaren, Nüssen und Süßzitronen, mit großen Glaskästen voll Zuckerwerk und arabischen süßen Schnörkeln, mit bunten Flechtkörben aus Palmenblättern, mit Zigaretten, bunten Lutschbonbons und morgenländischen Parfümdöschen, mit Halsketten und den erdenklichsten Gegenständen am Zug entlang und versuchen, Deine Aufmerksamkeit durch Blicke, Gesten und Zeichen durch die Zugfenster zu erregen, da sie die luftgekühlten Abteile nicht betreten dürfen. Sogar ein Stiefelputzer ist erschienen, er mag denken, dass Deine Schuhe seit Alexandrien staubig geworden sind oder rechnet auf die Aus- und Einsteigenden, da in diesem Lande, wo die Menschen barfuss oder in Pantoffeln laufen, eine glänzend geputzte Schuhspitze sehr geschätzt wird. Während Du vielleicht noch überlegst, ob Du einige leckere Datteln einem Jungen mit herrlichen weißen Zahnperlen in zerlumptem Gewand, das den braunen Körper vielerorts hervorkucken lässt, abkaufen sollst, weil er Dich mit seinen schönen schwarzen Augen so bittend anschaut, fährt Dich der Diesel schon aus der Halle. Wieder siehst Du nahe der Stadt viele Gemüsefelder, Dickbohnen, Zwiebeln, Spinat, ein Kümmelfeld, einige Mangobäume in den Gärten. Wiederum führt Dich eine Brücke über einen Nilarm mit vielen Seglern. Wassersport gibt es hier wohl noch nicht, Du siehst keine Ruderer und Kanuten, aber die großen Wasserschöpfräder (Sakkarijas) und badende braune Körper, ein Anblick, wie er sich hier wohl schon seit Jahrtausenden bietet. Über allem spannt sich ein wolkenloser Himmel. Du siehst wieder pflügende Bauern mit ihrem uralten primitiven Holzpflug, siehst Hockende und Schlafende. Schwarze Büffel kauen wieder und fühlen sich in einem Wassergraben neben prächtigen weißen Seerosen offenbar sehr wohl. Du siehst Kaktushecken und Doppelreiter, wandernde Fellachen mit langen oben gebogenen Hirtenstäben, Maiskolben auf den Dächern und überall rot blühende Christussterne und violette Bougainvilla an Häusern und Mauern, dazwischen ein dreistöckiges schlankes Minarett. Die Bebauung wird dichter, bunte Wäschestücke hängen in den engen Strassen und pünktlich um 1 Uhr 45 Minuten hält der Zug in Kairo. Der nubische Schaffner stellt Dein Handgepäck heraus aus dem Kofferraum, wo es die gleiche Nummer wie Dein Sitzplatz hatte und alles scheint bestens geregelt. Auf dem Bahnsteig steht der freundlich lächelnde Prof. A-E. Er hat schon von meiner Ehrung in Kafr el Dawar erfahren und ruft seine Glückwünsche. Aber da stürzt in einer gegenüber Hamm beneidenswerten Fülle das Heer der Gepäckträger auf Dich zu und rauft sich um Deine Gepäckstücke. Auf dem Bahnhofsvorplatz erwartet Dich ein neuer Kampf, da Pferdedroschken und Autotaxi Dich wetteifernd als Fahrgast einzufangen wünschen. Prof. A-E. aber geleitet Dich sicher zu seinem parkenden Wagen, verstaut alles Gepäck und dann erlebst Du nach der beschaulich ruhigen Bahnfahrt das Hupen, Tuten, Klingeln und Lärmen einer orientalischen Zweimillionenstadt bis Du glücklich am Nil das Semiramis Hotel betrittst und hier bei offenem Fenster des Speisesaales Dich durch ein Mittagessen stärkst, so dass ich hoffe, dass Dich diese Fahrt nicht zu sehr angestrengt hat, zumal schon 7 Bekannte für nachmittags und abends auf Dich warten.

 

 

 

Sonntag, 19. November 1961

 

 

 

Wie üblich ein sonniger warmer Tag. Mit Dr. H., dem Lehrer des Goethe-Instituts und cand. med. A. S. geht die Fahrt in einem bequemen Opel in die große Oasenstadt Fayum, um dort auf meinen Wunsch einige nahe gelegene alte koptische Klöster zu besuchen. Die Oase verdankt ihre sprichwörtliche Fruchtbarkeit dem Jussuf (Josef) Nil, einem Arm des gewaltigen Stromes, den die alten Ägypter hierhin abgeleitet haben. Stadtgott war ein krokodilköpfiger Gott, weshalb die Stadt zur Ptolemäerzeit auch Krokodilopolis genannt wurde. Das Museum von Alexandrien birgt interessante Funde des Krokodilkultes. Heute leben in der betriebsamen Landstadt viele Kopten. Wir fuhren zunächst nach Gizeh zu den im Sonnenschein hell leuchtenden Pyramiden, von wo eine lange Wüstenstrasse nach Süden führt. Wie bei jedem Wagen wurde unsere Autonummer von einem Polizeiposten notiert, damit bei Nichteintreffen beim Endkontrollpunkt Hilfe gesandt werden kann. Es ist ein eigenes erhabenes Gefühl, wenn Du viele Kilometer auf welliger, aber guter Strasse durch die einsame und abweisende, steinige gelbe Wüste fährst. Zuletzt machte ich die Fahrt im Omnibus vor 3 Jahren, diesmal war es ungleich angenehmer. Wir genossen das frische Grün der Felder, sahen große Kartoffeläcker, reife Durrahirse und das Aussortieren der Maiskolben. Dabei wieder viel buntes Volksleben und Getier. Auf dem Hauptplatz der Stadt grünbemooste Riesenschöpfräder, die ein mächtiges und kühlendes Wasserwerk trieben. Wir fuhren zum Bischof der Wüstenklöster (dem Antonius- und Paulskloster in der arabischen und die 4 Klöster in der sketischen Wüste unterstehen). Der hohe Herr war aber auf Ordinationsreise. Dafür empfing uns Vater Michael und zeigte uns die moderne (1930 gebaute) Bischofskirche Maria-Georg mit zahlreichen Bildern des Heiligen Georg mit seinem Drachen. Dann ging es 6 km weit nach dem Dorf Azab, wo eine grosse koptische Hallenkirche Abu Seifin mit weiss gekalkten Kuppeln und Kreuzen, ein sehr malerischer Anblick, uns erwartete. In ihr ruht in einem Marmorsarkophag Bischof Abraham, einst Bischof von Fayum und Gizeh. Sein eindrucksvolles Bild umwunden von einem Schleier und angestrahlt von 11 Wachskerzen hing an einer Kapellenwand. Noch interessanter aber war die alte Klosterkirche, deren Boden viel tiefer lag und uns zeigte, dass in den seit ihrem Bau verstrichenen Jahrhunderten das Erdreich sich gehoben hatte. Sie ist ein vierschiffiger Hallenbau mit 2 Tonnengewölben mit Muschelarchitektur und den obligaten Straußeneiern. Danach besuchten wir in Ezbet Farrag die alte Maria-Georgskirche, in der ein Vetter Bischof Abrahams ruht. Beide Klosterkirchen beherbergen heute keine Mönche mehr, werden aber zu bestimmten Jahreszeiten (April) von Hunderten von Pilgern besucht.

 

 

 

 

 


Originalgetreue fotographische Reproduktion eines zweidimensionalen Kunstwerks aus dem Jahre 1907. Diese Bild- oder Mediendatei ist gemeinfrei, weil ihre urheberrechtliche Schutzfrist abgelaufen ist. Das nach einer persischen Prinzessin benannte Hotel wurde nach europäischem Vorbild 1900 erbaut, 1907 eröffnet und 1976 abgerissen. An seiner Stelle steht nun ein 850 Zimmer umfassender Neubau.
 
 
 

 

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